„Rupprecht Villinger – Recht auf Leben“ überschreibt die Theater-AG unter der Leitung von Wolfgang Gerdes ihr selbst verfasstes Stück, das sie heute, 8. März, erneut aufführt. Nach zwei Komödien nahmen sich die Schüler mit ihrer Eigenproduktion eines Themas an, das auch über 70 Jahre nach Kriegsende unzureichend aufgearbeitet ist: Rund 300.000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Der an Schizophrenie leidende Rupprecht Villinger war eines dieser Opfer. Er starb im Alter von 21 Jahren als Nummer 244 der Tötungsanstalt Grafeneck.
Unbequem
Erinnern ist unbequem, die Frage nach den Bezügen zur Gegenwart noch mehr. Doch die 25 jungen Akteure aus den achten bis zehnten Klassen der Geschwister-Scholl-Oberschule stellten sich der Herausforderung.
Die Tatsache, dass sie mit ihrer Produktion am Wettbewerb „Theaterprojekte zu Biographien der NS-Euthanasie“ teilnehmen, tritt angesichts der Aussagekraft und inhaltlichen Tiefe ihrer Aufführung beinahe in den Hintergrund. Denn das Theaterstück nach einem Textbuch von Regisseur Wolfgang Gerdes beschränkt sich nicht auf die Darstellung einer selbst gewählten Biografie. Vielmehr werfen die Schüler deutliche Fragen an die Gegenwart auf – mit starker Symbolik und einem engagierten Spiel auf beachtlichem Niveau.
Nervenheilanstalt
Unterstützung erhielten sie dabei von Schulsozialarbeiterin Karin Bischof, Praktikantin und Lehramtsstudentin Berit Lasse, dem aus Syrien geflüchteten Schauspieler Ahmet Kiki und von Wolfgang Gerdes. Ganz bewusst setzte er seine Schüler nicht der Belastung aus, den mit 16 Jahren in eine Nervenheilanstalt eingewiesenen Rupprecht darzustellen. Stattdessen entfaltet sich dessen Schicksal in Spielszenen der Gegenwart.
Bürger, die schweigen, Aktivisten, die vergangenes Unrecht ans Licht holen, Politiker, die reden und doch nichts sagen, zweifelnde Juristen, bohrende Journalisten und mitten drin die Stimmen des Gewissens: Hitzige Diskussionen wechseln symbolträchtigen Sequenzen mit stummer Reg- und Ratlosigkeit. Und immer wieder erklingen aus dem Off eingelesene Originaldokumente, die betroffen machen und während der musikalischen Gedankenpausen mit eindringlichen Kompositionen von Guido Blendermann nachklingen.
Hilferufe der Opfer
Schon die ersten Minuten des Stückes lassen aufmerken. Denn leise erklingen die flehenden Hilferufe der Opfer im Dunkel des Saales. Noch verhallen sie ohne Reaktion, ist auf der Bühne die Mauer, die Erinnerungen und Fragen wegsperrt, fest gefügt. Doch die Stimme, die an Artikel 1 des Grundgesetzes ins Bewusstsein ruft, wird lauter: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Die Mauer auf der Bühne bricht. Und die Mauern in den Köpfen? Jene Mauern, hinter denen noch heute mal im Stillen, mal mit gebrüllten Parolen Menschen bewertet oder gar abgewertet werden? Die Theater-AG der Geschwister-Scholl-Schule will auch sie einreißen und steht dazu heute Abend um 19.30 Uhr erneut auf der Bühne. Eine dritte Aufführung ist bei entsprechendem Interesse möglich.
Text: Petra Ropers